Der Mensch muss Erfahrungen machen. Aber nicht alle.
Mastodon, soviel sei vorausgeschickt, ist keine üble Sache. Sich auf einem der zahllosen Server einen Account anzulegen ist geradezu simpel, und ich kann es jedem empfehlen. Ich habe es selbst getan – Du findest mich unter @sirlarry@social.tchncs.de.
WordPress und das Fediverse
Fangen wir von vorne an: mittlerweile dürften alle mitbekommen haben, dass die klassischen sozialen Netzwerke ihre Risse haben. Zuletzt war Twitter nicht mehr zu ertragen.
Eine bisweilen lästige Eigenschaft all dieser Portale war, dass man in einem geschlossenen System zu Hause war. Wer auf Facebook ist, kann keinem X-Account folgen und so weiter. Geschweige denn zwischen den Welten umziehen.
Abhilfe schaffen die neuen Dienste, die sich des ActivityPub-Protokolls bedienen. Hier kann jeder mit jedem interagieren, und das ist nicht nur die Grundlage von Mastodon, welches ja aus tausenden einzelnen Servern besteht, sondern auch von einer Reihe weiterer Dienste mit Namen wie Nextcloud, ownCloud, PeerTube, Friendica, Hubzilla, MediaGoblin, Pixelfed Pleroma oder BookWyrm.
Oder eben WordPress.
Als fleißiger Heise-Konsument war mir nicht entgangen, dass man inzwischen auch eine WordPress-Site wie Y direkt in das Fediverse einbinden kann. Das klang erstmal nach Reichweite und somit sinnvoll, und deshalb habe ich das ausprobiert.
Die ich rief, die Server
Und es war tatsächlich einfach!
Man verwendet das ActivityPub-Plugin für WordPress, und noch ein paar ergänzende dazu, um es komfortabler zu machen. Ein paar einfache Einstellungen, und los geht es. Voilà: Y war ein Mastodon-Server.
Was heißt das nun? Jeder Blogpost war jetzt automatisch ein Mastodon-Post. Jeder Nutzer auf der WordPress-Site war jetzt automatisch auch Teil des Mastodon-Netzwerkes. Was für Konsequenzen das mit sich bringt, hatte ich in diesem Moment noch nicht zu Ende gedacht.
Man muss nur einen einzigen Schalter umlegen, um die Spiele beginnen zu lassen: jemand muss Dir folgen. Sobald Du einen einzigen Follower irgendwo im Fediverse hast, merkt das Netzwerk, dass ein neuer Spieler dabei ist und verleibt ihn sich ein.
Also legte ich mir meinen ersten Mastodon-Account an und folgte Y.
Zahllose Fediverse-Server fingen an, meine Site aufzurufen.
Erste Schritte bei Mastodon
Willst Du einen Mastodon-Account, musst Du Dir überlegen, auf welchen Server Du konkret willst. Eine irgendwie lästige Übung, gerade wenn man sich nicht auf Themen oder Orte einschränken will. Oft versammeln sich auf Mastodon-Servern Communities mit ähnlichen Interessen. Es gibt Tausende davon.
Ich entschied mich ohne groß nachzudenken für einen kleinen regionalen Server namens stade.social.
Mit drei Mitgliedern.
Egal, man soll ja Regionales fördern, und jeder fängt mal klein an.
Verfolgt vom Großen Rhabarber
Inzwischen wurden mir aber die Tücken meiner Idee bewusst.
Wenn Du ein soziales Netzwerk bist, dann interagierst Du. Das heißt, andere lesen Deine Posts und reagieren darauf, verfassen Antworten. Auch diese werden dann zwischen Deinen eigenen Posts erscheinen. Posts von Accounts, denen Du folgst, landen ebenfalls zwischen Deinen eigenen.
Es hätte den Charakter dieses Blogs vollkommen verändert, wenn all diese Dinge hier in der Timeline aufgetaucht wären. Das war es nicht, was ich wollte.
Und so beschloss ich, doch kein Fediverse-Server sein zu wollen.
Aber ich hatte meine Rechnung ohne den Großen Rhabarber gemacht.
Unter anderem hatte das Netzwerk Friendica damit begonnen, Unmengen API-Anfragen über einen Dienst namens Giant Rhubarb an meine Website zu senden. Nun ist Traffic zwar an sich etwas Schönes, aber nicht um seiner selbst willen. Das viel größere Mastodon-Netzwerk war da deutlich zurückhaltender.
Wie sagt man dem Fediverse, dass man austritt? Irgendwie scheint das nicht vorgesehen zu sein. Der einzige Tipp, den ich irgendwo fand, war, die Zeilen
User-agent: MinoruFediverseCrawler
Disallow: /
in die robots.txt
einzufügen. Tat ich zwar, aber das hat nicht wirklich für weniger Traffic gesorgt.
Zweite Schritte bei Mastodon
Nach dem Rückzug aus meiner Karriere als Server beschloss ich, meine Y-Posts einfach automatisch auf Mastodon teilen zu lassen. Auch dafür gibt es ein Plugin, und das geht sogar noch einfacher.
Einen Account hatte ich ja nun. Leider funktionierte das automatische Teilen auf norden.social nicht. Wie es scheint, entscheidet jeder Betreiber individuell, was sein Server kann und was nicht, und jener Experte scheint wohl einiges deaktiviert zu haben. Also zog ich noch mal um.
Wieder einen Server suchen, diesmal einen großen. Das ist hier ein tech-lastiges Blog, also wurde es social.tchncs.de.
Hier funktionierte das automatische Posting, und es schien so weit alles seine Ordnung zu haben. Ich begann, mir ein paar Accounts zusammen zu suchen, denen ich schon früher gerne gefolgt bin.
Das hat seine eigenen Tücken, denn das Suchen über die dezentralen Server hinweg ist nicht ganz trivial. Es gibt gute Werkzeuge dafür, aber das sprengt heute den Rahmen.
Eine Überraschung zeigte sich, als ich dem Account eines bekannten CDU-Politikers folgen mochte: Der Administrator hat diesen Account ausgeblendet. Möchtest Du ihn trotzdem sehen?
Teufel noch eins, da hatte sich also schon jemand Gedanken gemacht, was gut für mich ist. Danke, lieber Administrator. Wir sind hier im freiesten aller Netze, sehen uns moralisch meilenweit oberhalb von Elon. Und Du blendest aus, was Du für nicht geeignet hältst.
Nein, kultivierter geht es beileibe nicht zu, nur weil man ein moderneres technisches Protokoll benutzt.
Immerhin erlaubt mir das System, dem Account trotzdem zu folgen. Amen, Väter des Grundgesetzes. Ich verzichte vorerst auf einen weiteren Umzug.
Wir bleiben ein Blog
Dieses Blog ist nun also tatsächlich im Fediverse unterwegs, aber anders und viel kleiner als ursprünglich geplant. Auch das automatische Teilen habe ich wieder abgeschaltet. Was bleibt, ist einfach ein zusätzlicher Kommunikationskanal.
Was haben wir gelernt: Man sollte nicht versuchen, alles gleichzeitig zu sein. Ein Blog bleibt ein Blog, und ein Network bleibt ein Network.
Und ich hoffe weiterhin inständig, dass der Große Rhabarber endlich merkt, dass das hier doch kein Server ist und aufhört, meine API zu scannen. Regelmäßige Updates zur Aktivität des Rhabarbers siehst Du unter Blog Updates.
Dieser Post fasst eine Reihe früherer Einträge zum gleichen Thema zusammen. Es war da zuletzt etwas unübersichtlich geworden, was durchaus meine welchselnden Erlebnisse mit dieser Materie widerspiegelt.